Eine Alte Sage
Schwester Irmgard
Nahe bei der Stadt Lügde, in der Schlucht, durch die man nach der Hermannsburg geht, stand einst ein Nonnenkloster. Und ein reiches Kloster muß es gewesen sein mit Mühlen und Vorwerken; denn noch heute heißt die Stelle am Bache, wo einst die Oelmühle gelegen, "der Nonnen Oelwiese." In diesem Nonnenkloster nun war einst eine Schwester Irmgard, die hatte einen heimlichen Liebsten, einen gar kecken Jägersmann. Und jede Nacht kamen sie im Klostergarten zusammen, und koseten und herzten lange; und der Liebste hatte ihr auch versprochen, sie einmal zu befreien aus den dumpfen Klostermauern, und mit sich zu nehmen fernhin an die grünen Ufer deS Rheines. Aber als es nun weiter kam und immer weiter; als eS sich zu regen begann unter dem Herzen der Nonne; als ihr der Weg die hohen Treppen hinab in den Klostergarten immer beschwerlicher ward; als sie es nicht lange mehr bergen konnte unter dem schwarzen Talar -: da wollte der Falsche, von der Entführung nichts mehr wissen, und zuletzt, als die arme Irmgard nicht abließ mit Bitten und Flehen und Beschwören - blieb er ganz aus. Da stand eines Abends die Betrogene am Fenster, und sah trübselig hinab auf den Pfad den er sonst zu kommen Pflegte. Und immer finsterer wurden ihre Gedanken, immer schwerer pochte ihr Herz. Da hörte sie plötzlich wirres Gemurmel auf den Gängen, in den Zellen; Bald jedoch konnte sie die Stimme der Oberin deutlich unterscheiden: "Wie konntet ihr mir nur solche Schande so lange verhehlen? - Aber nicht länger sei die ehrlose in unserer Mitte geduldet; nicht länger entweihe sie durch ihre Gegenwart unsere heiligen Mauern. Hinausstoßen wollen wir sie in die falsche Welt, deren trügerischen Lockungen sie ihr Ohr lieh; dort möge sie, allem Elend preisgegeben, Ihre That bereuen!" Indeß waren die Nonnen immer näher gekommen. Jetzt standen sie vor Irmgards Zelle; jetzt nestelten sie an der Thür-: gleich mußte die Oberin eintreten. Da riß die Gequälte in wilder Verzweiflung das Fenster auf, und stürzte sich hinab, und zerschellte unten am zackigen Gemäuer. Das Kloster ist längst zerfallen; jede Spur von ihm ist im Laufe der Zeit verschwunden, aber noch lebt im Munde des Volks die Sage vom falschen Jägersmann und von der Schwester Irmgard. Und wer spät Abends von der Hermannsburg kommt, der sieht es am Bache ruhelos wandeln, grau, schattenhaft und blutig. Das ist der irre Geist der Schwester Irmgard.
Autor: Josef Seiler 1848 Volkssagen und legenden des landes Paderborn
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